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12.5 Wer ist mein Nächster?
Wahre Nächstenliebe in Aktion
Lies das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in Lukas 10,25–37. Was sagt dieser Abschnitt angesichts des Rufs der Propheten nach Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und angesichts der Arten von Ungerechtigkeiten, die verschiedene Menschengruppen im Laufe der Menschheitsgeschichte den „anderen“ zugefügt haben?
Die Frage des Gesetzeslehrers in Lukas 10,29„Wer ist denn mein Nächster?“ – zeigt eine Haltung, die leider auch heute noch oft zu finden ist: Man möchte genau wissen, wem man helfen „muss“ und wem nicht. Doch Jesus gibt keine gesetzliche Definition, sondern erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das eine radikale Botschaft enthält:
  1. Nächstenliebe kennt keine Grenzen
Jesus stellt die Herzenshaltung über religiöse und gesellschaftliche Grenzen. Der Samariter hilft dem Verletzten, obwohl Juden und Samariter als Feinde galten. Damit macht Jesus klar: Unser Nächster ist nicht nur der, der uns nahe steht, sondern jeder, der in Not ist – unabhängig von Herkunft, Status oder Religion.
Dieses Gleichnis ist eine Antwort auf die Ungerechtigkeiten der Menschheitsgeschichte:
  • Ausgrenzung, Vorurteile, soziale Ungleichheit – Jesus fordert uns auf, diese Mauern zu überwinden.
  • Ignoranz gegenüber dem Leid anderer – Wie der Priester und der Levit, die vorbeigehen, könnten auch wir fragen: „Habe ich Zeit?“ oder „Ist das meine Verantwortung?“
Doch wahre Gerechtigkeit bedeutet, hinzusehen und zu handeln.
  1. Jesus: Die Verkörperung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
Jesus sprach nicht nur über Gerechtigkeit – er lebte sie. In Lukas 4,16–21 zitiert er Jesaja 61,1–2 und macht deutlich, dass er gekommen ist:
Um den Armen gute Botschaft zu bringen.
Um die Unterdrückten zu befreien.
Um Heilung und Wiederherstellung zu bringen.
Er erniedrigte sich selbst, um sich mit denen zu identifizieren, die leiden. Seine Gerechtigkeit ist nicht nur gerichtliche Strafe, sondern Wiederherstellung und Heilung.
  1. Unser Auftrag: Barmherzigkeit aktiv leben
📖 Psalm 9,9–10 & Psalm 146,7–9 zeigen, dass Gott der Schutz für die Bedrückten ist. Doch er will uns als Werkzeuge seiner Gerechtigkeit gebrauchen.
🔹 Wem helfen wir heute – oder gehen wir vorbei?
🔹 Haben wir Vorurteile, die uns daran hindern, barmherzig zu sein?
🔹 Tun wir nur das Notwendige – oder leben wir echte Nächstenliebe?
Gottes Wort ist unmissverständlich: Unsere Aufgabe ist es, denen zu dienen, die in Not sind. Nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe – so wie Christus uns geliebt hat.
Denn wahre Gerechtigkeit zeigt sich nicht nur in großen Reden, sondern in gelebter, grenzenloser Barmherzigkeit.
Was können wir aus dem Leben und Wirken Jesu in Sachen Hilfe für Bedürftige lernen? Auch wenn wir keine Wunder wie er vollbringen können – wie könnte unsere Hilfe vielen leidenden Menschen „wundersam“ vorkommen?
Jesus war nicht nur ein Lehrer, sondern auch ein lebendiges Beispiel für tätige Nächstenliebe. Seine Hilfe für Bedürftige war nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt – er heilte Kranke, tröstete Ausgestoßene, vergab Sündern und gab Hoffnung den Verzweifelten. Seine Liebe kannte keine Grenzen, und genau das ist es, was wir von ihm lernen können.
  1. Jesus sah den Einzelnen – tun wir das auch?
Jesus sah nicht nur die Masse, sondern den Einzelnen mit seinen Nöten:
Er sah den Blinden Bartimäus und blieb stehen (Mk 10,46–52).
Er nahm sich Zeit für die Samariterin am Brunnen, obwohl andere sie verachteten (Joh 4,1–26).
Er hatte Mitleid mit der hungernden Menge und speiste sie (Mt 14,13–21).
Lehre für uns: Sehen wir die Not um uns herum – oder gehen wir einfach weiter? Manchmal kann ein ehrliches Gespräch, ein offenes Ohr oder ein kleines Zeichen der Zuwendung „wundersam“ für jemanden sein, der sich übersehen fühlt.
  1. Jesus half ganzheitlich – Körper, Seele und Geist
Jesus kümmerte sich nicht nur um die körperlichen Nöte der Menschen, sondern auch um ihre inneren Wunden. Er heilte Krankheiten, aber auch zerbrochene Herzen:
Er vergab der Ehebrecherin und gab ihr eine neue Perspektive (Joh 8,1–11).
Er nahm die Kinder ernst und segnete sie (Mk 10,13–16).
Er heilte den Gelähmten nicht nur körperlich, sondern auch seelisch (Mk 2,1–12).
Lehre für uns: Manchmal ist das größte Wunder nicht materielle Hilfe, sondern dass jemand sich wertgeschätzt fühlt. Ein aufmunterndes Wort, eine Geste der Annahme oder ein Gebet können tiefen Trost spenden.
  1. Jesus erwartete keine Gegenleistung – helfen wir bedingungslos?
Jesus heilte Menschen, ohne von ihnen Dankbarkeit oder Gegenleistung zu verlangen. Er sagte:
📖 „Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch“ (Mt 10,8).
Er half nicht, um Lob zu erhalten – sondern weil es seinem Wesen entsprach.
Lehre für uns: Helfen wir, weil wir etwas zurückerwarten – oder weil es einfach das Richtige ist? Bedingungslose Liebe ist oft das größte Wunder für jemanden, der sonst nur Ablehnung erfahren hat.
Wie kann unsere Hilfe „wundersam“ wirken?
Auch wenn wir keine Wunder wie Jesus vollbringen können, können wir den Menschen auf eine Weise begegnen, die ihr Leben verändert:
Praktische Hilfe: Essen teilen, Kleidung spenden, einen Einsamen besuchen.
Emotionale Unterstützung: Jemandem zuhören, aufmunternde Worte sprechen, Hoffnung geben.
Geistliche Ermutigung: Für andere beten, ihnen zeigen, dass Gott sie liebt und nicht vergisst.
Oft ist das größte Wunder nicht eine übernatürliche Heilung, sondern ein Mensch, der sich geliebt und gesehen fühlt.
Denn wenn wir helfen, wie Jesus geholfen hat, dann sind wir selbst das Wunder für jemanden, der es dringend braucht.
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt uns eine radikale Wahrheit: Wahre Nächstenliebe kennt keine Grenzen. Sie ist nicht auf Menschen beschränkt, die uns sympathisch sind oder aus unserem Umfeld stammen – sie gilt allen, die in Not sind.
  1. Was bedeutet „Wer ist mein Nächster?“ in unserem Alltag?
Jesus macht klar, dass es nicht darum geht, wer unser Nächster ist, sondern ob wir selbst ein Nächster für andere sind.
Das bedeutet: Nächstenliebe ist eine Entscheidung, nicht ein Gefühl.
In der Familie:
  • Nehme ich mir bewusst Zeit für meine Lieben oder bin ich zu beschäftigt?
  • Vergebe ich, wenn jemand mich verletzt – oder bleibe ich im Groll?
Am Arbeitsplatz / in der Schule:
  • Achte ich auf Kollegen oder Mitschüler, die übersehen oder ausgegrenzt werden?
  • Setze ich mich für Fairness und Gerechtigkeit ein oder bleibe ich passiv?
In der Gesellschaft:
  • Helfe ich Menschen in Not oder gehe ich achtlos an ihnen vorbei?
  • Engagiere ich mich für soziale Gerechtigkeit oder ignoriere ich Ungerechtigkeit?
Unser „Nächster“ ist nicht nur der Freund, sondern auch der Fremde, der Hilflose, der Unangenehme, der Verletzte.
  1. Jesus als Vorbild für gelebte Nächstenliebe
Jesus lebte vor, was es bedeutet, Nächstenliebe praktisch umzusetzen:
📖 „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ (Lk 19,10)
Er sah den Einzelnen: Er übersah niemanden, sondern blieb stehen und half.
Er heilte nicht nur Körper, sondern auch Herzen: Vergebung, Annahme und Hoffnung waren zentrale Elemente seiner Botschaft.
Er half bedingungslos: Er erwartete keine Gegenleistung, sondern gab aus Liebe.
Frage an uns:
Sind wir bereit, bedingungslos zu helfen, so wie Jesus es tat?
  1. Nächstenliebe als gelebter Glaube – Wie kann unsere Hilfe „wundersam“ sein?
Wir können vielleicht keine Wunder tun wie Jesus, aber unsere Hilfe kann für andere wie ein Wunder wirken.
💛 Praktische Hilfe: Eine Mahlzeit, ein Besuch, ein Lächeln – kleine Gesten, die Großes bewirken.
💛 Emotionale Unterstützung: Zuhören, Mitgefühl zeigen, einen Einsamen nicht vergessen.
💛 Geistliche Ermutigung: Für jemanden beten, Worte der Hoffnung schenken.
Manchmal ist das größte Wunder für jemanden nicht eine übernatürliche Heilung, sondern dass er sich gesehen und geliebt fühlt.
  1. Unser Auftrag: Barmherzigkeit als Lebensstil
📌 Sehen wir die Not um uns herum – oder gehen wir weiter?
📌 Tun wir nur das Notwendige – oder leben wir echte Nächstenliebe?
📌 Setzen wir Jesu Botschaft praktisch um – oder bleibt sie eine Theorie?
Denn wahre Gerechtigkeit zeigt sich nicht nur in großen Worten, sondern in gelebter Liebe.
👉 Wenn wir helfen, wie Jesus geholfen hat, werden wir selbst zum Wunder für jemanden, der es dringend braucht.

Wahre Nächstenliebe beginnt dort, wo wir nicht fragen, wer unser Nächster ist, sondern wo wir selbst ein Nächster werden.

 

 

Illustration:
Der Regen fiel in dichten Strömen auf die dunklen Straßen der Stadt. Die wenigen Passanten eilten mit gesenktem Kopf an den Pützen vorbei, die sich auf dem Asphalt gebildet hatten. Vor einem kleinen Café in einer Seitenstraße stand eine Gestalt im Schatten eines Hauseingangs – eine junge Frau, in eine dünne Jacke gehüllt, ihre Haare feucht vom Regen.
David bemerkte sie, als er gerade das Café verlassen wollte. Er war auf dem Weg nach Hause, erschöpft nach einem langen Arbeitstag. Doch etwas an der Art, wie die Frau sich hielt, wie sie nervös auf ihre Finger starrte, ließ ihn innehalten.
“Entschuldigung? Alles in Ordnung?” fragte er vorsichtig.
Die junge Frau zuckte zusammen, als wäre sie nicht daran gewöhnt, angesprochen zu werden. Ihre Augen waren müde, aber voller Misstrauen.
“Ich… ich warte nur auf jemanden”, murmelte sie, doch ihre Stimme zitterte.
David überlegte kurz. Wie oft hatte er selbst Menschen einfach übergangen, zu beschäftigt mit seinen eigenen Sorgen? War er nicht oft wie der Priester oder der Levit aus dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter gewesen, die einen Verletzten einfach ignorierten? Heute wollte er es anders machen.
“Kann ich helfen?”, fragte er behutsam.
Die Frau musterte ihn kurz, dann senkte sie den Blick. “Ich heiße Anna”, sagte sie schließlich. “Und ehrlich gesagt… ich habe keine Ahnung, wohin ich gehen soll.”
David sah, wie ihre Schultern zitterten. Ohne lange zu überlegen, deutete er auf das Café hinter ihm. “Komm, lass uns reingehen. Wir können reden, und du kannst dich aufwärmen.”
Anna warf ihm einen skeptischen Blick zu, doch dann nickte sie zögerlich. Sie folgte ihm ins Warme, wo der Duft von Kaffee und frisch gebackenem Brot in der Luft lag. Sie setzten sich an einen kleinen Tisch in der Ecke, während ein Kellner heißen Tee brachte.
Langsam begann Anna zu erzählen. Sie war vor einigen Monaten in die Stadt gekommen, voller Hoffnungen auf ein neues Leben. Doch die Wirklichkeit hatte sie eingeholt – ein Job, der nicht ausreichte, eine Wohnung, die sie sich nicht mehr leisten konnte. Seit Tagen schlief sie in U-Bahnstationen, mied die Obdachlosenheime aus Angst. Sie hatte niemanden, der sich um sie kümmerte.
David hörte zu, ohne zu urteilen. Er dachte an Jesus, der nie an gesellschaftlichen Schranken haltgemacht hatte. Der mit den Ausgestoßenen aß, den Einsamen Trost spendete, den Sündern vergab. Während Anna sprach, wurde ihm klar: Sie war seine Nächste. Keine Fremde, kein Fall für eine Wohltätigkeitsorganisation – sondern ein Mensch, der Hilfe brauchte. Und er konnte diese Hilfe sein.
“Hör zu”, sagte er sanft, als sie fertig war. “Ich kann dir nicht alles abnehmen. Aber ich kenne ein Frauenhaus, das dir helfen kann. Ich kann dich dorthin begleiten, wenn du willst. Und bis dahin – lass mich dir ein Essen spendieren.”
Anna schaute ihn lange an. Dann, zum ersten Mal an diesem Abend, huschte ein schwaches Lächeln über ihr Gesicht. “Danke”, flüsterte sie. “Danke, dass du stehen geblieben bist.”
Und David wusste: Es war nicht viel, was er getan hatte. Kein großes Wunder. Aber für Anna, in diesem Moment, war es vielleicht genau das.

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